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  1. Kanzleipartner verantworten die Kanzleikultur

Partner verantworten Arbeitsatmosphäre, Umsätze und Mandantenzufriedenheit. Schön wär’s, sagt die Realität.

Textauszug aus: „Chefsache Anwaltscoaching“

© Johanna Busmann

Panik auf der Titanic: Eine Anwältin lernt den Abflug

Eine Partnerin nimmt ihre Aufgabe ernst

Allein sie habe die Kanzlei in all den Jahren nach vorn gebracht, und ihre beiden Partnerkollegen, jeder 25 Jahre älter als sie, hätten das in vollkommener Passivität gern geschehen lassen.
Am Schluss habe sie in der Kanzlei fast täglich unter Atemnot gelitten, berichtet Rechtsanwältin N. bei ihrem ersten Telefonat mit ihrem Coach.
Sie sei jetzt 38 Jahre alt, und die erste Panikattacke ihres Lebens in der letzten Woche habe sie zum Arztbesuch bewegt.
Der habe ihr dringend den Besuch bei einem „Ausstiegscoach“ empfohlen, um ihren Blutdruck von derzeit 191 : 110 langfristig zu normalisieren, ein Magengeschwür dauerhaft zu verhindern und das Durchatmen wieder zu einem Normalzustand zu machen.

Der Don-Quijote-Effekt

„Manche Schlachten sind im Job nicht zu gewinnen. Besser, man erkennt das früh genug – und sucht sich lohnendere Heraus­forderungen.
Der sprichwörtliche „Kampf gegen Windmühlen“ wird gern von Persönlichkeiten wie Rechtsanwältin N. geführt, die sich nicht von Niederlagen entmutigen lassen, in schwierigen Umgebungen gern ihre besonderen Fähigkeiten oder Fertigkeiten unter Beweis stellen und „mit unermüdlichem Eifer ihre Mission verfolgen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Ihre Umgebung bewundert sie oft für ihre Willensstärke und ihre Energie („Wie schaffst du das nur alles?“), ihr Pragmatismus ist oft unerschütterlich, ihr Ehrgeiz immer immens, und ihr Engagement verstärkt sich regelmäßig durch Niederlagen.

Protestantische Glaubenssätze

Diese Niederlagen ändern nichts daran, dass solche Akteure ihr Engagement als „selbstverständlich“ betrachten und in der Regel einen protestatantisch-leistungsbezogenen Hintergrund in der persönlichen Biographie aufweisen.
Dieser Leistungsbezug führt zu spezifischen Glaubenssätzen, denen die eigene Leistung entscheidender ist als jedes Hindernis: „Wenn ich nur alles richtig mache, schaffe ich auch alles, was ich will“.
Dabei motivieren Fehlerfurcht und die – für jeden Beobachter – irrwitzige Idee, der Außenwelt „nicht zu genügen“, zu wochenlangen Höchstleistungen, die jeden Normalo schon am zweiten Tag in die Knie zwingen.

Niederlagen, Schwächen und Eigenlob: Das „No-Go-Trio“

Wer schon als Kind übermäßige Pflicht- und Zuständigkeitsgefühle kultivierte (häufiger Grund: Verlust oder Pflegebedürftigkeit von engen Bezugspersonen, alleinige Zuständigkeit für kleine Geschwister oder Großes Einmaleins), kann ein gestörtes Verhältnis entwickeln zu

  • Niederlagen (schlecht)
  • Schwächen (peinlich)
  • Eigenlob (stinkt)

Dieses No-Go-Trio darf nicht sein und wird bekämpft, koste es, was es wolle. Dieser Kampf führt die ohnehin bereits überlasteten Personen in immer ehrgeizigere Versuche, eine Umgebung zu „besiegen“ und zu verändern, die nicht durch sie veränderbar ist – wie bei Don Quijote.
Personen mit dieser Biographie beziehen alle Anerkennung der Umgebung aus ihrem überirdisch anstrengenden Alltag. Sie wählen daher gern berufliche Umgebungen, in denen

  • ihr Kampf weitergeht; sie kennen ja nichts anderes
  • ihre vorübergehende Empörung oder Verzagtheit nach Niederlagen unüblich sind, nicht verstanden oder nicht toleriert werden
  • somatische Ausfälle (Magenbeschwerden, Atemnot, Hautausschlag etc.) nicht als Warnsignal für eine Richtungsänderung, sondern als „Störung“ gewertet werden.

Narzissmus in Anwaltskanzleien

Die beiden älteren Partner zeigen Symptome einer narzisstischen Störung: Menschen in ihrer Unmgebung sind weniger wichtig als sie. Geld geben statt Empathie. Sich selbst nicht kümmern und Gleichrangigkeit der einzigen Frau im Partnerboard nicht anerkennen.
Solange Narzissmus andere Menschen nicht beschädigt, kann er ein beneidenswerter Antrieb sein: Viele gesunde Anwälte profitieren von ihren narzisstischen Zügen, durch die manche Erfolge überhaupt erst möglich werden: Der Partner zeigt seinen Angestellten, wie Gewinnen geht, der Akquisiteur besticht zukünftige Mandanten durch seinen unwiderstehlichen Charme, und die Rampensau begeistert in einem einzigen Vortrag 200 Behördenmitarbeiter für das Verwaltungsrecht.

  • Info: Der gesunde Narzissmus
    Anwaltliche Führungskräfte mit gesunden narzisstischen Zügen sind machtbewusst und lösungsorientiert; sie können ausgesprochen charismatisch wirken und ihre eigenes strategisches Geschick sinnvoll einsetzen.
    Sie ermöglichen – solange sie selbst im Zentrum stehen – mit leichter Hand eine perfekte Arbeitsatmosphäre.
  • Info: Narzissmus als Krankheit
    Die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) ist dagegen eine anerkannte psychische Krankheit. Sie wird im ICD-10 unter dem Code „F 60.8“ in der Rubrik „Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen“ geführt und ist auch für Laien daran erkennbar, dass Personen in der Umgebung eines narzisstischen Akteurs wiederholt beschädigt werden:
    „Der krankhafte Narzissmus zeichnet sich durch einen Mangel an Empathie, Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und gesteigertes Verlangen nach Anerkennung aus […]. Narzissten sind stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe. Sie glauben von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein, verlangen nach übermäßiger Bewunderung und legen ein Anspruchsdenken an den Tag […]. Dazu gehört auch die Erwartung an die Umgebung, automatisch auf eigene Erwartungen einzugehen.“

Korrektur des anwaltlichen Selbstbildes durch Karambolagen

Ein Coach ist gewöhnlich nicht in der Lage zu ermitteln (und in der Regel auch nicht daran interessiert), wodurch ein Selbstbild im Einzelfall entsteht; denn er ist meistens kein approbierter Arzt oder Psychologe.
Ein erfahrener Coach erkennt jedoch Inkongruenzen von Selbstbild und Fremdbild. Er kann erfahrene, erfolgreiche und erstaunlich selbstsicher wirkende Klienten vor sich haben, die von schweren Turbulenzen in ihrem eigenen System heimgesucht werden.
Der Coach löst in diesem Fall absichtliche Karambolagen vor allem zwischen Glaubenssätzen des Klienten und der ihn umgebenden Realität aus, damit der Klient zu Beginn der Arbeit bereits Energie gewinnt.
Der erfolgreichste Energielieferant (welcher das jeweils ist, stellt sich erst im Gespräch heraus) wird fast immer Inhalt einer Hausaufgabe für den Klienten und führt zu einer – anfangs noch zaghaften – Korrektur des Klienten-Selbstbildes:

  • Beispiele:
    „Ich kann das nicht“ führt z.B. zu der Coach-Frage: „Wie oft haben Sie es schon versucht?“ Auch Selbstbeschränkungen erleben eine Flexibilisierung: „In dieser Region werden solche Honorare nicht gezahlt“ zieht die Frage „Für welche Rechtsgebiete gilt das? Woher wissen Sie das?“ nach sich, und ein negatives Selbstbild wird kritisch hinterfragt: „Als Frau wird mir das nicht zugestanden“ löst die Frage aus: „Was macht Sie sicher? Wie viele Beweise haben Sie selbst erlebt? Wodurch genau erhalten Männer mehr als Sie? Und wie viel mehr?“

Buch

Chefsache Anwaltscoaching
Berliner Wissenschafts-Verlag (2022)
E-Book und Hardcover
710 Seiten, 89 Euro
(+ Versandkosten NUR bei Versand ins Ausland: 7,95 Euro)

Kapitelübersicht, Leseprobe und Buchbestellung

Autorin

Johanna Busmann, Hamburg
31 Jahre Anwaltstraining, Strategieberatung und Kanzleicoaching – Details

Presse

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