Hintergrund: Konflikte in Anwaltskanzleien
Konfliktursache oder Konfliktauslöser?
Konfliktursachen liegen in der Vergangenheit und gehen oft tiefer als vermutet. Konfliktauslöser liegen in der Gegenwart und erscheinen Unbeteiligten oft harmloser als Wattebäuschchen.
Konfliktträger können oder wollen Ursachen und Auslöser ihres Konflikts selten selbst analysieren bzw. aussprechen.
Konflikte sind ganzjährig im Fasching
Konflikte verkleiden sich als Streit, Krankheit, Missgunst, Opfer, Atmosphäre, Sucht, Extremsport, Arroganz, Intrige, Kündigung, Straftat, Gewichtsproblem, Lüge, Misserfolg oder Sozialphobie.
Konfliktauslöser kommen intrapersonell (innerhalb einer Person) und interpersonell (zwischen mehreren Personen) in diesen Kategorien vor:
- Sprache / Nonsprache
- Rollen / Rollenwechsel
- Werte / Wertungen
Wozu sind Konflikte da?
Sie nerven im politischen, beruflichen und privaten Leben, sie halten auf und kosten Energie. Sie indizieren schlechte Führung, unklare Rollen und fehlende Ziele. Sie gelten bei oberflächlicher Betrachtung als überflüssig und verzichtbar.
Deshalb ist vielleicht zunächst erstaunlich zu erfahren, dass jeder Konflikt eine positive Funktion im System aller Konfliktbeteiligten hat:
- Ein Konflikt unter Erwachsenen zeigt automatisch an, dass er gebraucht wird.
Alle Konflikte haben eine positive Funktion
Konflikte sind als Frühwarnsysteme, Projektteam-Retter und Fortbildungsindikator unersetzlich. Sie indizieren sehr frühzeitig – in der Regel lange vor ihrem offiziellen „Ausbruch“ -, dass ein Vorhaben gefährdet ist, eine Liebesbeziehung wackelt oder mindestens eine Person in einer Rolle überfordert ist.
Bevor ein Konflikt „ausbricht“, können Betroffene selbst schon feststellen: Etwas ist zu viel oder zu wenig, zu stark oder zu schwach, etwas kollidiert oder geht sich aus dem Weg.
- Sie selbst können dann sofort Maßnahmen einleiten (lassen), um das kleinste Konfliktsignal positiv und umgehend zu nutzen.
Positive Semantik des Wortes Konflikt
Das chinesische Schriftzeichen für „Krise“ beinhaltet zwei Silben, die – einzeln gelesen – die Worte „Gefahr“ und „Chance“ bedeuten. Auch in der deutschen Sprache geht „nicht umsonst das Wort gern eine Koexistenz mit dem Wort „Potenzial“ ein, das der Duden mit „Möglichkeit“ übersetzt.
Konfliktpotenzial bezeichnet also die „Möglichkeit eines Konflikts“ – und damit auch die „Chance“ auf einen Konflikt:
- Für Konflikte muss man was tun; es gibt sie nicht frei Haus, nicht für jeden und nicht mit jedem.
- Nur Personen, die sich etwas „bedeuten“ und eine gemeinsame berufliche oder private Historie haben, erleben Konflikte.
- Konflikte können aussehen wie persönliche Reibereien, obwohl sie sich lediglich an Rollen entzünden können – und mit Personen nichts zu tun haben, etwa: Autoritätskonflikte.
- Anwälte lieben Konfliktpotenziale, die außerhalb der eigenen Kanzlei und des eigenen Gehirns angesiedelt sind, denn diese bringen ihnen die Mandate.
- Genauso positiv ist auch der Ideenkonflikt, denn wo ein solcher auftaucht, gibt es glücklicherweise mehr als eine Idee.
- Auch der Inhaber eines Gewissenskonflikts darf nicht meckern: Er hat nachweislich ein Gewissen und sehr wahrscheinlich auch die Fähigkeit, zwischen mindestens zwei Denkweisen zu unterscheiden und dadurch seine persönliche Kongruenz zu wahren
- Im Anwaltsbereich ist „Konflikt“ außerdem ein cooles Synonym für eine Interessenskollision (engl. „conflict“), die beweist, dass (ehemalige) Gegner der Kanzlei nun ihre Mandanten wenden wollen.
Konflikte setzen Energie frei
Spätestens im Moment ihres offiziellen Ausbruchs erinnern Konflikte – für den analytischen Beobachter von außen durchaus angenehm – an den teuflischen Mephisto, der sich einst als harmlosen Pudel verkleidete, um „stets das Gute“ zu schaffen.
Konflikte inszenieren sich gern positiv als
- Gewitter: Sie können als plötzlich ausbrechender Streit wie ein reinigendes Gewitter auftreten und bleiben dabei im Hintergrund, ohne sich selbst zu enttarnen. Streite ohne tief liegende Konflikte darunter sind durch oberflächliche Verhandlung auf der Sachebene lösbar.
- Krankheit: Sie können alle Beteiligten jahrelang schwächen, ohne jemals auszubrechen und ohne diagnostisch benennbar zu sein. Positive Intention: Wahre Stärke der einzelnen Akteure sollte lieber unter der Decke bleiben, damit man sie nicht zeigen muss: „Das Leben ist ein ruhiger, langer Fluss“.
- Ritual: Sie „kitten“ Systeme durch wiederkehrende Rituale. Was tun mit der ganzen gewonnenen Zeit und Energie, wenn der wöchentliche Ehe-Streit um das „Müll runterbringen“ nicht mehr da wäre? Konflikte beleben Systeme (Ehe, Kanzlei, Kindererziehung) und intensivieren Beziehungen, die ohne Konflikte (vulgo: „Ohne Ablenkung“) zugrunde gehen würden. Schwere Konflikte als Team gemeinsam „durchzustehen“, stärkt den Zusammenhalt.
- Qualitätsmerkmal einer Beziehung: Aus Meinungsverschiedenheiten („Zieh ich ein rotes oder blaues Kleid an?“) entwickeln sich Konflikte nur dann, wenn diese die Beziehungsebene betreffen. Je tiefer die Beziehung ist, desto tiefer kann ein Konflikt gehen. Tiefgehende Konflikte gibt es nicht in flachen Freundschaften.
- Fortbildungsindikator: Alle Konflikte im Team indizieren den Fortbildungsbedarf der Teamleitung. Führungskräfte der Kanzlei haben Führung nicht gelernt. Dadurch besetzen sie ihre Führungsrollen nicht kongruent, was Konflikte mit den Mitarbeitern hervorruft. Diese Konflikte sind entweder passiv (Krankenstand und Fluktuation) oder aktiv (Rückdelegation, Einwände, Zickenkrieg) in Szene gesetzt.
- Katalysator: Konflikte dienen allen Kommunikationsstrategen – bewusst der unbewusst, privat oder geschäftlich – als Katalysator für Durchsetzung und Positionsbestimmung. Als bewusste Taktik gewiefter Strafverteidiger ermöglichen sie Nebelkerzenstrategien; sie verwirren, nerven und beeinflussen Gericht, Gegner, Zeugen, Nebenklage, Presse und Staatsanwaltschaft. Sie helfen auch bei der Ausnutzung prozessualer Mittel der Strafprozessordnung gegen Interessen des „kurzen Prozesses“.
Konflikte sind dennoch negativ konnotiert
Konflikte können bekanntlich über einen „hereinbrechen“, „schwelen“, „ausbrechen“ oder „eskalieren“. Diese Semantik erinnert an Zufälle, Unfälle, Naturkatastrophen und Kämpfe. Auch Synonyme des Begriffs „Konflikt“ sind eher negativ konnotiert:
- Konflikte zwischen zwei Menschen heißen auch Zerwürfnis, Widerstreit, Zank, Disharmonie oder Streit
- Konflikte innerhalb einer Person heißen auch Verlegenheit, Zwangslage, Zwiespalt oder Klemme
- Konflikte innerhalb eines Teams heißen auch Misstrauen, Zickenkrieg, Arbeitsverweigerung oder Machtpoker