Vertrauensverlust durch den Blinden Fleck
Drunter und Drüber in der Kanzleikultur
Während die Kanzlei „ganz gut läuft“ und in der Umgebung eine hohe Weiterempfehlungsquote erzielt (neue Mandanten kommen zu etwa 80 % durch analoge Weiterempfehlungen), scheint es in der Kanzleikultur „drunter und drüber“ zu gehen.
Vor kurzem hatte Rechtsanwalt B. durch seinen angestellten Kollegen aus dem Arbeitsrecht erfahren, dass er mittags in der Bäckerei von den vier Assistentinnen hinter kaum vorgehaltener Hand als „Warmduscher“ bezeichnet werde, und dass sich übrigens auch „so mancher“ Anwaltskollege durch ihn nicht unterstützt fühle.
Unliebsame Themen würde er „nicht angehen“; die immer noch fehlende Entscheidung für das neue IT System „vergifte“ inzwischen die Anwaltsversammlung. Reibereien im Backoffice würde er „einfach so“ weiter laufen lassen, und selbst Angelika (langjährige „gute Seele“ der Kanzlei) hätte letzte Woche „nur noch das Nötigste“ erledigt.
Der Chef ist nicht beliebt. Er ist schleimig.
Rechtsanwalt B hielte sich, so hatte der weiter Kollege vermutet, wahrscheinlich für einen beliebten Chef; ganz zu Unrecht: Er werde von Mitarbeitern als unzuverlässig und schleimig empfunden.
Ob er das gar nicht merke? Ob er glaube, das seien „Betriebsunfälle“?
Der „Blinde Fleck“ behindert den Erfolg von Rechtsanwalt B.
Rechtsanwalt B. ist offensichtlich erstmals mit seinem „Blinden Fleck“ konfrontiert; das Feedback seines Kollegen hat ihn „hochgradig alarmiert“ und dazu gebracht, erstmals in seinem Leben einen Coach anzurufen.
Begründet seien die Beschwerden nach Ansicht von Rechtsanwalt B. schon; niemals würde sich der Kollege so etwas ausdenken: „Bevor der einen kritisiert, ist schon viel Wasser durch die Mühlenau geflossen“.
Dass er jemals als „inaktiv“ und „betriebsblind“ gelten könnte, so Rechtsanwalt B. weiter zum Coach, habe er „nicht gewusst“ und an Betriebsunfälle glaube er eh nicht.
Er selbst habe sich bis zu dieser Mitteilung für einen überall beliebten, rücksichtsvollen und fürsorglichen Chef gehalten, der Betriebsfeiern und Sportevents organisiere, am Ort „bestens vernetzt“ sei und jederzeit jeden Mitarbeiter seines Hauses „mit Zähnen und Klauen verteidigen“ würde.
Der „Blinde Fleck“ ist eine Wahrnehmungsschwäche
Ja, den Begriff „Blinder Fleck“ kenne er. Man selber würde, so erklärt er den Begriff korrekt, eine unbewusste Angewohnheit oder sogar ein Persönlichkeitsanteil gar nicht bemerken – im Unterschied zur Umgebung. Und ja, ganz offensichtlich sei das bei ihm genauso.
Das sei für ihn „wirklich schwer auszuhalten“.
Hintergrund:
Mediziner erklären den „Blinden Fleck“ als normale Funktion des Auges, durch die man vorübergehend nichts sieht[3].
Psychologen dagegen verstehen den „Blinden Fleck“ als eine Eigenschaft oder ein Persönlichkeitsmerkmal eines Menschen, die dieser nicht selbst wahrnehmen kann oder möchte, während die Umgebung „lange schon Bescheid weiß“ – und sogar massiv unter ihr leiden kann.
Machtverlust durch den „Blinden Fleck“
Bei sich selbst ohne fremde Hilfe „Blinde Flecken“ zu analysieren, ist so gut wie unmöglich, da sie verborgen sind und ihrem Inhaber „dienen“. Die beiden ersten Anzeichen eines „Blinden Flecks“ bei anderen Menschen sind dagegen hindernisfrei und ohne Übung durch jeden beliebigen Beobachter identifizierbar, und zwar am wiederholten
- „Übersehen“ einer misslichen Situation (Verdrängung)
- Beschuldigen externer Faktoren als Auslöser für diese Situation (Externalisierung eigener Verantwortung).
Misserfolg selbst ausgelöst
Wenn der Kanzleichef zu diesen Maßnahmen greift, löst er dadurch unmittelbar seinen eigenen Misserfolg und den der Kanzlei aus:
Wer als Chef altmodische Strukturen seiner Kanzlei „übersieht“ und zeitgleich externe Faktoren (Legal Tech, „Zu-Uns-Kommen-Nur-PKH-Mandanten“, bitterböse Mitbewerber) verantwortlich zu machen versucht für einen Umsatzrückgang, verstärkt nicht nur das Misstrauen der Mitarbeiter, sondern gibt auch viel von seiner Macht ab. denn:
Nur, wer eine missliche Situation selbst mitverursacht hat, kann sie selbst beheben.